Urs Zürcher: Der Innerschweizer.

Ich hielt das Buch untentschlossen in der Hand. Es schien mir zu dick und ist in Tagebuchform geschrieben. Doch der Titel liess mich nicht los, sodass ich mich dafür entschied. U. kommt als Student nach Basel. Seine Tagebucheinträge über das Leben in der WG führen mich schnell in das Studentenleben der 80er Jahre zurück: Kein Internet, kein Smartphone, nur die philosophisch- abgefahrenen Diskussionen mit den WG-Partnern zählen. Der Einbezug von politischen Ereignissen verbindet mich noch mehr mit dieser Zeit. Erweitert wird die enge Tagebuch-Perspektive mit Zeitungsartikeln und den vereinzelt eingesetzten Kommentaren des Tagebuchfinders, der die kommunistisch-reaktionären WG zeitweise bespitzelt hat. Als Leser/in muss man schon aufmerksam sein, um das Kippen der politischen Ereignisse ins Fiktive wahrzunehmen und schon befindet sich die Schweiz im Krieg zwischen Ost und West, ausgelöst durch ein missglücktes Attentat der WG. Der kommunistisch-anarchistischen Träumer U. entwickelt sich zu einem knallharten Geschäftsmann, der mit den Russen kooperiert. Urs Zürcher entwirft einen Blick auf die Schweiz, wie es eben auch hätte sein können. Das Werk umfasst vieles: das Privatleben von U. und die politischen Umwälzungen in einem Jahrzehnt. Urs Zürcher hat ausführlich über diese Zeit recherchiert und führt die Leser geschickt in eine – trotz allem mögliche – andere Richtung, als wie wir sie kennen. Das gefällt mir, da es plötzlich andere Perspekiven öffnet. Nur zwischendurch frage ich mich, ob das Buch trotz allem nicht etwas schlanker hätte ausfallen können. (Dorothe Zürcher - nicht verwandt)

Bettina Spoerri