Christian Haller: Der seltsame Fremde.

Eine erste Impression: Clemens Lang ist Berufs-Fotograf, formal anspruchsvoll und inhaltlich dem unscheinbaren Detail verfallen. Er soll irgendwo in einer Grossstadt eines Schwellenlandes an einem ziemlich absurden und zeitgeistigen Kongress, am "Institute for Contemporary and Colonial Studies", seine Bilder präsentieren, was er dann auch prompt vermasselt. Die vielversprechende Reise entwickelt sich allerdings zu einer Fahrt in Dantes Höllenkreise, in den Hades einer skrofulösen Welt, aber auch in die eigene poröse Biographie, die sich immer wieder in die sogenannte Realität als vielschichtige und unbarmherzige Hintergrundstrahlung hineindrängt. In diesen Individuationsprozess mischt sich mehr oder weniger hilfreich dieser "seltsame Fremde" ein. Man erkennt eine Art mephistotelischen "Causeur", und wenn wir Dantes Reichssicherheits- hauptamt einbeziehen, eine Art persönlichen Aufpasser namens Vergil, oder wer's himmlischer liebt, die geliebte Beatrice. Das Buch ist denn auch ein abgründiger Reisebericht über ein tragisches Fiasko. Es erzählt von einer morbid ausgefransten Welt, über fauligen Schmutz und eiterndes Elend, über die Wirrnisse der Wahrnehmung. Es verschweigt auch die biographischen Risse und Kontraste des Herumirrenden nicht, bietet aber auch atemberaubende kulturhistorische Längsschnitte. Natürlich ist das ein hermetisches Buch, eine Herausforderung für den Intellekt und bisweilen auch sehr belastend für jemanden, der in einem Text nur reine Unterhaltung sucht. Aber langweilig ist es dennoch nicht. Es hat das, was man einen starken narrativen Sog nennen könnte. Und da sind wir bei W.G. Sebald. Wer seine Erzählkunst liebt, wird auch dieses Buch gerne lesen, selbst dann, wenn seine bedrückende Melancholie und diese permanenten Inferioritätsgefühle und der Kreuzweg dieser meist trieftraurigen und kränkelnden Hauptperson peinigen. Sie könnten ein eher satirisch veranlagtes Gemüt vielleicht sogar verärgern. Ein vorläufiges Fazit: Nein, ein heiter beschwingtes Buch ist das wahrlich nicht. Muss es auch nicht sein. Und man tut gut daran, etliche Passagen am besten zwei bis drei Mal zu lesen. Mein Lektürehöhepunkt: Der Stellvertreterdiskurs, pag. 116! Darüber vielleicht später einmal mehr. (Valentin Trentin)

Nenad Kovacic